Rede von André Reichel zum Haushaltsentwurf 2012 Regionalversammlung 07.12.2011

Haushalt 2012 - 2. Stellungnahme

Sehr geehrter Herr Vorsitzender,meine Damen und Herren, 

vor einem Jahr stand ich vor Ihnen und habe meine Rede begonnen mit der Feststellung, Stuttgart 21 sei ein Angriff auf den ÖPNV, vor allem auf unsere S-Bahn. An dieser Feststellung hat sich nichts geändert.

Gleichwohl ist die Welt heute eine andere als vor einem Jahr.

Vor einem Jahr standen wir unter dem Eindruck des 30. September, der Massendemonstrationen mit 100.000 Bürgerinnen und Bürgern auf Stuttgarts Straßen und der dadurch notwendig gewordenen Schlichtung unter Heiner Geißler. Ich war vergangenen Samstag in der letzten Vorstellung der Dokumentation "Alarm am Hauptbahnhof", der mir ein Wiedersehen mit Stefan Mappus, Tanja Gönner, Heribert Rech und all den anderen bescherte. Am Ende habe ich zu den beiden Regisseurinnen gemeint "Gottseidank ist's nur ein Film".

Die Welt ist aus zweierlei Gründen eine andere. Zum einen haben wir in Baden-Württemberg seit der Landtagswahl eine andere Regierung mit einem grünen Ministerpräsidenten an der Spitze. Zum zweiten hat diese Regierung die alte Scheu ihrer Vorgänger vor dem Volk abgelegt und endlich das Volk zu Stuttgart 21 befragt. Die Volksabstimmung hat Klarheit geschafft, und zwar in mehrerlei Hinsicht:

  1. Es ist nun klar, dass eine Mehrheit nicht aus den Finanzierungsverträgen zu Stuttgart 21 aussteigen möchte. Diese Mehrheit zählt 2,1 Millionen Baden-Württemberger.
  2. Die Minderheit, die weiterhin gegen Stuttgart 21 ist, zählt 1,5 Millionen Baden-Württemberger.
  3. 3 von 10 sind für das Projekt, 2 von 10 sind dagegen. Und - für mich als Verkehrspolitiker besonders hart - 5 von 10 scheinen sich für den Bahnverkehr im Land nicht sonderlich zu interessieren.


Angesichts dieses Ergebnisses erscheint mir Triumphgeheul der Projektbefürworter ebensowenig angebracht, wie hängende Köpfe oder Trotz auf Seiten der Projektgegner. Die Argumente gegen Stuttgart 21, auch und gerade was den Nahverkehr in der Region angeht, behalten weiter ihre Gültigkeit. Ebenso gilt auch weiterhin das Grundgesetz und mit ihm das Recht friedlich gegen Stuttgart 21 zu demonstrieren.

Wir Grünen in der Regionalversammlung haben das verkehrliche Interesse der Region an einer guten und zuverlässigen S-Bahn stets vordringlich gesehen. Dies wird auch in Zukunft so bleiben und ich denke, dass wir in diesem Hause darüber auch breite Einigkeit mit den Projektbefürwortern herstellen können.

Die Ergebnisse des Stresstests der Bahn und unsere in Auftrag gegebene Auswertung zeigen, dass die S-Bahn durch Stuttgart 21 nicht besser wird, sondern eher schlechter. Projektsprecher Dietrich sagt, sie bleibt "mindestens so gut" wie jetzt. Meine Damen und Herren, das kann es nicht sein!

Wir als Verband Region Stuttgart nehmen insgesamt 100 Millionen EUR kommunales Geld in die Hand, kommunales Geld, und beteiligen uns damit an Stuttgart 21 für eine Verbesserung des Nahverkehrs und unserer S-Bahn. Aufgrund unseres Finanzierungsanteils kommen auch bis zu 400 Millionen EUR Zuschüsse mit hinein. Das heißt wir sind nicht der kleinste Finanzier von Stuttgart 21, sondern nach dem Land der Größte in Baden-Württemberg! Für eine halbe Milliarde EUR können wir mit der Aussage von Herrn Dietrich alles andere als zufrieden sein. Wir zahlen für eine deutlich bessere S-Bahn und nicht für den Erhalt des Status Quo!

Das gilt umso mehr, als wir alle hier mit unserer S-Bahn noch Großes vorhaben. Wir wollen die Nachtverkehre in der Region mit der S-Bahn erweitern, wir wollen den 15-Minuten-Takt ausdehnen und selbstverständlich wollen wir auch unser S-Bahnnetz in der Region erweitern. Wir wollen mehr S-Bahn und eine bessere S-Bahn, nicht weniger!

Und das müssen wir nun nicht mit Stuttgart 21 erreichen, sondern trotz Stuttgart 21 erreichen. Dafür werden wir Grünen uns in dieser Versammlung mit aller Entschiedenheit einsetzen!

Es ist unsere Überzeugung, dass der Verband und seine Regionalversammlung sich hier in breiter Einstimmigkeit positionieren müssen. Das gilt erstens für den Kostendeckel von 100 Millionen, der nicht zur Disposition steht. Hier haben wir bereits Beschlüsse getroffen und ich denke, wir tun gut daran, die DB bei jeder sich bietenden Gelegenheit daran zu erinnern! Es gilt im Übrigen auch für die Folgekosten von Stuttgart 21, die bisher viel zu wenig thematisiert wurden, ich erinnere an dieser Stelle nur an die Diskussion um die steigenden Trassen- und Stationspreise.

Das gilt weiterhin für die Betriebsqualität unserer S-Bahn. Wir Grünen begrüßen außerordentlich die Einstimmigkeit des Verkehrsausschusses, den Linientausch bei der S-Bahn abzulehnen. Notwendig geworden ist der wegen infrastruktureller Engpässe im Norden der Region aufgrund des Mischverkehrs mit den Regionalzügen. Wir möchten hier von der Bahn Klarheit haben, wie eine S-Bahn unter jetzigem Linienverlauf bei verbesserter Betriebsqualität nach Fertigstellung von Stuttgart 21 funktionieren kann, auch welche Infrastrukturmaßnahmen die Bahn dafür plant und wie das Geld der Regionskommunen hier eingesetzt wird. Es ist ja sehr verwunderlich, dass wir zwar brav überweisen, aber eigentlich nicht Rechenschaft darüber ablegen können, was nun genau mit diesem Geld bisher geschehen ist! Im nächsten Verkehrsausschuss werden wir Grünen dazu einen Antrag einbringen, in dem wir die Bahn zu genau diesen Fragen berichten lassen wollen. Ich werbe bereits jetzt um eine breite Zustimmung dazu; unsere S-Bahn geht uns alle an!

Meine Damen und Herren, die zurückliegenden Haushaltsberatungen kann ich aus grüner Sicht als konstruktiv bezeichnen, und das obwohl wir uns in einem Abstimmungskampf um Stuttgart 21 befunden haben!
Es ist auch meine Hoffnung, dass wir - bei allem auch weiter notwendigem Streit über und Kritik an Stuttgart 21 - bei den entscheidenden Themen dieses Verbandes uns einigen können.

Entscheidend wird es aus Grüner Sicht sein, in den nächsten Jahren mehr Menschen umweltfreundlich fortzubewegen. Die Verkehrswende muss gelingen, wenn wir beim Klimaschutz und einer nachhaltigen Mobilität vorankommen möchten. Mit Stuttgart 21 wird das nicht leichter werden, sondern schwieriger. Aber gerade dabei werden wir mit diesem Haushalt einiges auf den Weg bringen.

Gut dass wir jetzt mit der Untersuchung der Verbesserungsmöglichkeiten auf der Schusterbahn zwischen Untertürkheim und Kornwestheim den ersten Schritt zu einer leistungsfähigen Nordost-Verbindung machen. So kann es uns schnell und kostengünstig gelingen, einen wesentlichen Anteil des Personenverkehrs zwischen Ludwigsburg und Esslingen auf die Schiene zu bekommen.

Einig waren sich die Fraktionen, dass die Vorlage der Verwaltung zur Mittelvergabe im Rahmen des Programms Nachhaltige Mobilität optimiert werden muss und sowohl Zielvorgaben als auch Vergaberichtlinien klar definiert werden müssen. Daran wird jetzt gearbeitet. Wir Grünen haben einige Hoffnung, dass am Ende tatsächlich etwas Gutes dabei entsteht, da die Notwendigkeit zum Umsteuern im Interesse des Klimaschutzes an diesem bedeutenden Wirtschaftsstandort auch bei den anderen politischen Kräften hier im Haus angekommen ist. Ein Hinweis sei an dieser Stelle gestattet: Nachhaltige Mobilität kann zwar auch E-Mobilität bedeuten, aber wir Grünen sehen es nicht als Regionsaufgabe, gerade in diesem Bereich einen Schwerpunkt zu setzen. Da sind andere Akteure aus der Wirtschaft weiter und brauchen sicherlich keine "Mitnahmemöglichkeiten" durch kommunale Gelder. 

  • Als wesentlich bedeutsamer sehen wir Grünen den vereinfachten Zugang der Fahrgäste zur individuellen Planung und Bezahlung der verkehrsmittelübergreifenden Mobilität.
  • Erstens weil hier - insbesondere bei der jungen Generation - ein enormer Bedarf besteht.
  • Zweitens, weil es den Öffentlichen Verkehr stärkt und uns als Aufgabenträger ermöglicht eine mit Privat- und Carsharing-Auto, Eigen- und Leih-Fahrrad, Bus und Bahn gut vernetzte und leistungsfähige nachhaltige Mobilität anzubieten.
    Drittens, weil die intelligente Verknüpfung der Verkehrsträger vor dem Hintergrund steigender Energie- und Rohstoffpreise ein weltweiter Wachstumsmarkt ist und damit die Wirtschaftsregion Stuttgart nachhaltig profitieren kann.


Des Weiteren müssen wir zur Gewinnung neuer Fahrgäste weiter die Tarifstruktur im VVS verbessern. Ziel aus grüner Sicht muss es dabei sein, nicht weitere neue Tickets anzubieten oder einzelne Personengruppen zu subventionieren, sondern ein überzeugendes Angebot für alle Nutzerinnen und Nutzer, insbesondere für die Berufspendler zu schaffen. Dies muss Vordergrund der nächsten Tarifklausur stehen.

Wir freuen uns über die Zusage, dass die Einzelmaßnahmen im Bereich des Energie- und Klimaschutzes in Kürze zu einer Gesamtstrategie zusammengefasst und weitere Handlungserfordernisse dargestellt werden. Die Einrichtung eines regionalen Kompetenzzentrums in diesem Bereich erscheint uns weiterhin dringlich und soll, wie von uns beantragt, in enger Abstimmung mit den Städten und Landkreisen und deren Energieagenturen 2012 weiterverfolgt werden, wobei wir die bisherigen Beratungsleistungen des Verbandes auf diesem Gebiet durchaus anerkennen. Wir unterstützen ausdrücklich die Standortsuche und die koordinierende Rolle, die der Verband im Bereich Windkraft übernimmt und die derzeitige Abstimmung mit den Kommunen. Damit leistet der Verband einen wichtigen Beitrag, um das landesweite Ziel einer Erhöhung des Windkraftpotentials auf 10% zu erreichen.

Auch haben wir uns gefreut, dass unsere wiederholt gestellten  Anträge zur Stärkung der Innenentwicklung mit dem Workshop in der vergangenen Woche aufgegriffen wurden und die Zusage gemacht wurde auch im kommenden Jahr  Maßnahmen in diesem Bereich zu fördern.

Abschließend noch ein paar Worte zur Kulturregion: Hier herrscht weitgehend Übereinstimmung in der Sache. Aber bei der Struktur und den Kooperationsbedingungen der verschiedenen Akteure ist noch einiges unklar. Wir setzen hier auf eine konstruktive Diskussion und werden alles daran setzen, dass die Kulturregion nicht im Kleinkrieg zwischen Landeshauptstadt, Regionskommunen und Verband unter die Räder kommt. Im Vordergrund muss die Ausgestaltung der inhaltlichen Arbeit stehen, die konkrete Projekte ermöglicht und nicht Strukturfragen.

Meine Damen und Herren,
die nächsten Jahre wird auch weiterhin ein jeder Haushalt mit dem Schatten von Stuttgart 21 zu kämpfen haben. Mit der Aussicht auf weitere kritische, aber für unsere Region Stuttgart fruchtbare Auseinandersetzungen in der Sache,
stimmen wir Grünen diesem Haushalt zu.

Ich danken Ihnen!