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Regionalversammlung 26.07.2023: Änderung des Regionalplans -Gebiete für Rohstoffvorkommen

Vor der Erschließung von frischen Gebieten zum Rohstoffabbau sollen bestehende Abbaugebiete gebündelt werden - dort wo eine hohe Ausbeute und möglichst auch ein vollständiger Abbau möglich ist.

Rede Leo Buchholz

Sehr geehrter Herr Vorsitzender Bopp, sehr geehrter Herr Regionaldirektor Lahl, sehr geehrte Herren Regionaldirektoren, liebe Kolleg*innen in der Regionalversammlung, liebe Zuhörenden,

wenn Sie mir vor vier Jahren, als ich in diese Versammlung gewählt wurde, prognostiziert hätten, das emotionalste, zeitintensivste und direkteste Thema, dem ich mich widmen würde, wären Steine gewesen, ich hätte es Ihnen nicht geglaubt. Wenn heute dieses Regionalplanänderungsverfahren abgeschlossen sein wird, dann geht für mich persönlich ehrlicherweise ein Prozess zu Ende, von dem ich nie gedacht hätte, ich würde ihn so in einem kommunalpolitischen Ehrenamt erleben. Aus nächster Erfahrung, aber irgendwo auch als angehender Pädagoge, kann ich sagen: Es macht Spaß, sich in Themen einzuarbeiten, die im eigenen Leben bisher keine Rolle spielten, es macht Spaß, Neues zu lernen. Aber es kann zuweilen auch furchtbar anstrengend sein, besonders emotional.

Als GRÜNE kennen wir die Erwartungen, die an uns formuliert werden. Wann immer vor Ort die Belange von der Öffentlichkeit, von Unternehmen oder Einzelpersonen denen der Natur, der Umwelt und des Klimas gegenüberstehen, fühlen wir uns verpflichtet, in der Abwägung besonders intensiv nachzubohren, aufgestellte Bedürfnisse zu hinterfragen und im Zweifel für die Intaktheit unseres Planeten zu stimmen. Was aber, wenn Schützenswertes sich gegenübersteht? Was wenn der Schutz von Freiraum, der Schutz von Landwirtschaft und der Schutz von Anwohner*innen anderen wichtigen Bedarfen entgegenstehen?

Meine erste persönliche Lernerfahrung aus diesem Regionalplanänderungsverfahren: Als Regionalrat, insbesondere im Planungsausschuss, schadet es nie, festes Schuhwerk griffbereit zu halten. Uns, meinen Fraktionskolleg*innen und mir, war es immer wichtig, uns vor Ort ein Bild der Lage zu machen, mit allen Gesprächen zu führen. Sowohl in Marbach als auch in Markgröningen waren wir zu mehr als einer Handvoll Termine eingeladen. Teils mit Kolleg*innen aus anderen Fraktionen, aber auch gerne auf eigene Faust, waren wir vor Ort mit den verschiedenen Akteuren verabredet. Und um das hier klar zu stellen: Ich kann es nur allzu gut nachvollziehen, dass die Begeisterung vor Ort für potenzielle Steinbrucherweiterungen sich nicht nur in Grenzen hält, sondern die Sorge um die eigene Lebensqualität dazu motiviert, sich in politische Prozesse aktiv einzubringen. Liebe Anwohner*innen aus Rielingshausen, liebe Anwohner*innen vom Hardt- und vom Schönbühlhof: Es war uns GRÜNEN immer wichtig, Sie anzuhören, ich hoffe, Sie haben sich auch von uns angehört gefühlt.

Wenn wir heute über die Festlegung eines Vorranggebietes oder eines Sicherungsgebietes entscheiden, dann machen wir damit einen Abbau möglich, der auch noch weit in der Zukunft liegen kann. In einer Zeit der multiplen Krise erscheint das aus der Zeit gefallen. In einer Zeit, in der unsere Gesellschaft gewaltige Transformationen bewältigt, in der Ereignisse wie der russische Überfall auf die Ukraine uns keine Jahresprognosen mehr aufstellen lassen, sichern wir Bedarfe für die nächsten 20 Jahren. Wie werden wir morgen bauen? Es kann nicht mehr lange dauern, bis unsere Bauwirtschaft klimaneutral gestaltet sein wird. Wie werden sich auch Genehmigungsverfahren und Verwaltungsvorgänge ändern müssen, wenn der technologische Fortschritt Jahr für Jahr einen Gang höher schaltet? Und auch unser Flächenverbrauch braucht in naher Zukunft einen Deckel.

Die hoch transformative Zeit hat uns in den letzten Jahren alle erreicht. Weil Rahmenbedingungen für die Zukunft aber immer unsicherer werden, muss sich jedes politische Handeln immer auch an den momentanen Rahmenbedingungen und den momentan gegebenen Erkenntnissen orientieren.

Als Regionalversammlung entscheiden wir nicht über einen konkreten Abbau. In einer Reihe von Entscheidungen, sind wir ein Perlenglied von vielen. Der konkrete Abbau liegt nicht in unserer Hand. Wenn das der Fall wäre, dann könnten wir hier über Abbauziele, über Bedarfe diskutieren. Das ist aber nicht unsere Aufgabe. Wir markieren heute Flächen durch eine Schraffur im Regionalplan, vorwiegend um andere Bebauung davon fernzuhalten.

Die Landesplanung legt fest, dass Abbaugebiete gebündelt werden sollen, dort wo eine hohe Ausbeute möglich ist und diese Gebiete dann auch möglichst vollständig abgebaut werden, immer vor der Erschließung von frischen Gebieten. Hinter diesem Grundsatz stehen wir GRÜNE voll und ganz! Der Hunger, den die Region nach Rohstoffen hat, können wir nach wie vor selbst nicht stillen. Jedes Kilo Schotter, jedes Kilo Kalk, das von außen in die Region gebracht wird, bedeutet aktuell einen Treibhausgasausstoß durch die gewaltigen Dieselmaschinen, die in dieser Branche tätig sind. Die Bewältigung der bevorstehenden Klimakatastrophe verpflichtet uns moralisch: Genauso, wie wir wollen, dass die Kartoffel oder der Apfel regional erzeugt werden, genauso müssen wir auch auf die Steine, die wir verbauen, achten!

Wir alle wissen, welchen enormen CO²-Fußabdruck die Bauindustrie hinterlässt und dass es im Angesicht der Klimakatastrophe auch von höchster Dringlichkeit ist, den Verbrauch an Primärrohstoffen massiv zu senken. Wir müssen wegkommen von unserer immensen Abhängigkeit von Beton und Stein. Und ich würde mich einer staatlichen Steuerung dabei niemals verwehren. Aber diese bundesweiten, nein globalen, Debatten können wir nicht in Marbach oder in Markgröningen fällen. Wer argumentiert, eine Verknappung des Angebots sei der passende Weg und in der Region sei deshalb nicht weiter Flächen auszuweisen, der statuiert heute ein Exempel!

Eine Rohstoffpolitik, die effektiv das Re-Cycling und Re-Use weiter ausbaut, den Primärrohstoffverbrauch, aber auch den Gesamtbedarf verringert, braucht eine politische Gesamtstrategie, an der auch auf den verschiedensten Ebenen gearbeitet wird. Wir müssen uns leider darüber im Klaren sein, dass wir in den nächsten geschätzten 15-20 Jahren weiterhin von Primärrohstoffen abhängig sein werden. Und wir sehen deshalb nicht, dass eine Verhinderung des Abbaus in Rielingshausen und Markgröningen einen wirksamen Beitrag zum Klimaschutz liefern würde. Viel eher ist es beispielsweise an der Zeit, Infrastrukturprojekte aus dem Dinosaurier-Zeitalter der Verkehrsplanung final beiseite zu legen, auch der betroffene Landkreis Ludwigsburg kann hier nur zu gut ein Lied davon singen. Und es braucht die Reform von öffentlichen Ausschreibungsverfahren: Die öffentliche Hand auf allen Ebenen, von der Kommune bis zum Bund, muss mutig vorangehen und neben nachhaltigen Bauweisen auch Recyclingbaustoffe in ihre Ausschreibungen mit aufnehmen.

Wenn wir wie heute über Regionalplanung sprechen, dann reden wir immer über Flächen, die nicht zentimetergenau definiert werden können. Wir können und wir wollen nicht in die Abwägung einbeziehen, wer eine Fläche besitzt, bewirtschaftet, bebauen möchte oder in ihr seine Freizeit gestaltet. Gleichzeitig formulieren wir keine Rechtsansprüche. Wer einen Steinbruch betreiben will, wer Rohstoffe abbauen will, der muss Grundstücke erwerben und der muss in Sachen Immissions- und Naturschutz langwierige Verfahren durchlaufen. Die Aufgabe der Regionalversammlung ist es, die planungsrechtlichen Voraussetzungen zu prüfen und abzuwägen. Und das geschieht auch in demokratisch gewählten Gremien manchmal hinter verschlossenen Türen, damit in freier Rede gemeinsam nach den besten Lösungen gesucht werden kann, ohne Profilierungen, ohne Populismus, ohne Vorabstellungnahmen der Medien.

Sollte ein Abbau in den Gebieten, die heute zur Entscheidung vorliegen, nicht möglich sein, dann bleibt es nach wie vor die Aufgabe des Verbands Region Stuttgart, Abbaugebiete zu sichern. Wir werden uns der Verantwortung selbstverständlich stellen, aber nach dem nun abgeschlossenen Verfahren sind wir uns eigentlich sicher: Es gibt keine unproblematischen Standorte. Wir werden das Problem von Belastung nicht lösen, wir verschieben es im Zweifelsfall nur. Denn überall dort, wo Rohstoffe abgebaut werden, werden, gerade in unserer dichten Region, in unmittelbarer Nähe Menschen belastet.

Mein vielleicht wichtigstes Learning aus mehr als drei Jahren Rohstoffpolitik: Entscheidungen zu fällen, Verantwortung zu übernehmen und im Zweifelsfall dafür gerade stehen zu müssen, ist nicht selten auch ein zwiespältiges Gefühl. Wir werden heute der Regionalplanänderung zustimmen, ich gehe davon aus, dass das eine breite Mehrheit dieser Versammlung tun wird. Meine Zerrissenheit, mein Verständnis für die Anwohner*innen vor Ort und das Wissen um die allzu notwendige Transformation werden davon aber nicht abgebildet sein.

 

Vielen Dank!