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Reden

Rede Bahnknoten Stuttgart Regionalversammlung 23.09.2020

Wir Grünen wollen zunächst alle in der Öffentlichkeit diskutierten Lösungen ergebnisoffen und ohne ideologische Scheuklappen auf ihre Wirtschaftlichkeit und ihre verkehrlichen Wirkungen prüfen lassen.

Sehr geehrter Herr Vorsitzender,
sehr geehrte Frau Dr. Schelling,
sehr geehrte Mitglieder der Regionalversammlung,
die Diskussion um die Zukunft des Bahnknotens Stuttgart beschäftigt uns in der Regionalversammlung schon längere Zeit. Regionalhalt Stuttgart-Vaihingen, Drittes Gleis am Flughafen, Große Wendlinger Kurve, die Schusterbahn, und jetzt eben die Zulaufstrecken aus dem Norden und dem Süden. Es hat sich bei allen Debatten um Stuttgart 21 gezeigt, dass die Frage nach der Kapazität des neuen Tiefbahnhofs nur einen Aspekt der Leistungsfähigkeit abdeckt; der andere, genauso wichtige Aspekt betrifft die Kapazitäten der Zuläufe. Hier besteht auch große Einigkeit in der Regionalversammlung über alle Fraktionsgrenzen hinweg.

1.    Nordzulauf ausbauen, P-Option schnell realisieren
Umso mehr freut es uns Grüne, dass in der Vorlage und im Beschlussvorschlag so ein klares Signal, ein klares Bekenntnis zum Ausbau des Nordzulaufs und hier insbesondere zur P-Option zu finden ist. Um es klar zu sagen: ohne P-Option macht ein Ausbau des Nordzulaufs von Zuffenhausen und Feuerbach her keinen Sinn; erst mit der P-Option bekommen wir die notwendigen Kapazitäten und Flexibilitäten bei dieser für Fern- und Regionalverkehr so wichtigen Achse. Ebenso hilft dieser Ausbau unserer S-Bahn, der schnelle Fernverkehr und der langsamere S-Bahnverkehr wird auf der Zulaufstrecke entmischt. Die Kapazitäten steigen auch hier und das hilft vor allem bei der S-Bahnpünktlichkeit.

2.    Nordkreuz und Panoramastrecke
Mit der P-Option und den weiteren Maßnahmen, die in der Vorlage beschrieben sind, kann es auch gelingen, die Panoramastrecke mit einer Infrastruktur für die Zeit nach S21 auszustatten und sie so in ein zukunftsfähiges Nahverkehrskonzept zu integrieren. Aus Grüner Sicht ist dabei das Nordkreuz entscheidend: mit dem Nordkreuz wäre die Panoramastrecke leistungsfähig an Bad Cannstatt angebunden, wir könnten S-Bahnverkehre aus dem Osten der Region in den Süden führen, ohne dabei die Stammstrecke der S-Bahn zu belasten. In naher Zukunft wollen wir Grünen auf der Panoramastrecke einen ähnlichen Schritt wagen können, wie wir es dieses Jahr auf der Schusterbahn mit breiter Mehrheit beschlossen haben. Die leistungsfähige Anbindung der Panoramastrecke nach Norden in Richtung Feuerbach sowie nach Osten in Richtung Bad Cannstatt sind für uns Grüne absolute Notwendigkeiten. Beide Schienenverbindungen sind wesentlicher Bestandteil einer zukunftsfähigen Erweiterung des regionalen Schienennetzes und unserer S-Bahn.

3.    Erweiterung Mittnachtstraße
Wir begrüßen ebenso, dass die Erweiterung der neuen S-Bahnhaltestelle Mittnachtstraße um einen weiteren Bahnsteig und ein drittes Gleis geprüft werden soll. Diese Maßnahme ist aus unserer Sicht für die Betriebsstabilität der S-Bahn, auch im Störungsfall, unerlässlich.

4.    Die Probleme mit der Gäubahnanbindung bei S21
Soviel zur großen Einmütigkeit bei den Maßnahmen zur Sicherung der Zukunftsfähigkeit des Bahnknotens Stuttgart. Jetzt kommt der Dissens und er bezieht sich auf die Vorschläge den Zulauf aus dem Süden betreffend, auf unsere Gäubahn. Der Südzulauf ist deutlich schwieriger als der Nordzulauf, die Führung der Gäubahn in den S21-Tiefbahnhof stellte von Anfang an die größte Herausforderung des gesamten Projekts dar. Wir Grünen haben immer darauf hingewiesen, dass die verschiedenen Planungen am Flughafen mehr Probleme schaffen als sie lösen. Unter großen (auch finanziellen) Mühen hat sich der Verband, mit kommunalem Geld, an der Variante 3. Gleis an der S-Bahnstation Terminal beteiligt. Diese Variante würde die Flexibilität im S-Bahnhof Flughafen erhöhen, aber der Mischverkehr auf der Strecke durch Leinfelden-Echterdingen, der durch S21 ja erst erzeugt wird, bliebe bestehen.

Es war immer Grüne Überzeugung, dass die Führung auf der Bestands-Trasse in den Stuttgarter Talkessel und zum Tiefbahnhof die verkehrlich beste Lösung darstellt. Der Vorstoß des Landesverkehrsministers mit einer unterirdischen Ergänzungsstation fanden wir Regionsgrünen deswegen auch so attraktiv. Die Bedenken aus der Landeshauptstadt, auch von Grüner Seite, was die Auswirkungen auf die Stadtentwicklung und den Wohnungsbau betreffen, lassen sich aber nicht einfach wegwischen und müssen bei jeder Verkehrsplanung im Bahnknoten Stuttgart zwingend berücksichtigt werden.

5.    Gäubahntunnel ist keine zukunftsfähige Lösung
Der Vorschlag aus dem Bundesverkehrsministerium, namentlich von Staatssekretär Steffen Bilger, zum Bau eines neuen Gäubahntunnels schien zunächst eine interessante Lösung der Problematik zu versprechen. Bei näherem Hinsehen sind bei uns Regionsgrünen aber immer mehr Fragezeichen aufgetaucht. Der neue Gäubahntunnel würde mit seinen 12km der längste Eisenbahntunnel Deutschlands werden, länger noch als der Fildertunnel bei S21. Es ist ein äußerst komplexes und sehr teures Vorhaben, die Zahl von einer Milliarde EUR steht im Raum. Gleichzeitig würde die Realisierung laut Vorlage wenigstens 10 Jahre dauern. Die Gäubahn wird aber 2025 unterbrochen, eine internationale Fernverkehrsverbindung zerschnitten, der Süden der Region und ganz Baden-Württembergs vom Stuttgarter Hauptbahnhof abgehängt. Meine Damen und Herren, schon alleine das disqualifiziert diese Lösung eigentlich.

Gleichzeitig wird mit diesem neuen Tunnel der Fernbahnhof Messe am Flughafen hoffnungslos überlastet, er wird die im Deutschlandtakt vorgesehen Zugzahlen nicht leisten können. Und schließlich gibt es für unsere S-Bahn weder in der Interimszeit der Gäubahnunterbrechung, noch für die Zeit danach ein schlüssiges Notfallkonzept. Dies vergrößert unsere Zweifel an der Zukunftsfähigkeit des Gäubahntunnels.

Aus all diesen Gründen können wir es nicht nachvollziehen, dass wir heute schon, bevor eine Wirtschaftlichkeitsuntersuchung des Gäubahntunnels vorliegt, uns mit wehenden Fahnen für die Unterstützung der Umsetzung aussprechen – und dabei gleich noch kommunales Geld in Aussicht stellen. Vernünftig wäre es doch, zunächst das Ergebnis der Wirtschaftlichkeitsuntersuchung abzuwarten und dann zu entscheiden. Noch vernünftiger wäre es, die auf dem Tisch liegenden Alternativen der Gäubahnanbindung ebenso zu prüfen und in die Entscheidung mit einzubeziehen.

6.    Alternativkonzept der Verkehrsverbände
Hier gibt es seit Montag einen neuen Sachstand: die Verkehrsverbände VCD und ProBahn haben ein Alternativkonzept zur Anbindung der Gäubahn an den neuen Tiefbahnhof vorgestellt, das sogenannten Synergiekonzept Filder plus. Es greift, in einem ersten Schritt, die bevorzugte Anbindung der Gäubahn an den Tiefbahnhof aus dem Filderdialog von 2012 auf, nämlich durch einen Kehrtunnel unter der Heilbronner Straße und der Anbindung an die bereits erwähnte P-Option – die wir ohnehin planen und bauen müssen. Dies war 2012 schon die verkehrlich beste Lösung, der vom Gutachter sma eine hohe Flexibilität und hohe Fahrplanstabilität bescheinigt wurde.

Die Vorteile sind klar:

1.    ein relativ kurzer, nur 1,5km langer Tunnel der mit der P-Option geplant und gebaut werden kann,
2.    deutlich geringere Kosten gegenüber allen anderen Vorschlägen, gerade dem Gäubahntunnel,
3.    eine kurze Bauzeit, eventuell ist sogar gar keine Unterbrechung der Gäubahnverbindung zum Hauptbahnhof Stuttgart notwendig,
4.    keine Beeinträchtigung des Wohnungsbaus in Stuttgart.

Die weiteren Überlegungen der Verkehrsverbände z.B. zur Rohrer Kurve und der Anbindung an die Neubaustrecke auf den Fildern finden ebenfalls unsere Zustimmung. Hier eröffnen sich sehr konkrete Möglichkeiten für den Nahverkehr auf einer wichtigen Schienentangentiale, von Rottweil und Horb über den Flughafen in Richtung Wendlingen und Nürtingen. Dies gilt auch für unsere S-Bahn, gerade deren Weiterführung von den Fildern ins Neckartal wird von allen Fraktionen in der Regionalversammlung gewollt. Übrigens: der Gäubahntunnel sieht so eine Anbindung nicht mehr vor.

7.    Ergebnisoffene Prüfung aller Vorschläge zur Gäubahnanbindung
Meine Damen und Herren, der Vorschlag der Verkehrsverbände ist zu bedeutsam, als dass wir ihn ignorieren können. Anstatt sich jetzt vorschnell auf eine Variante der Anbindung der Gäubahn festzulegen, plädieren wir Grünen dafür, zunächst einmal alle in der Öffentlichkeit diskutierten Lösungen – den Gäubahntunnel des Bundesverkehrsministeriums, die Ergänzungsstation des Landesverkehrsministeriums und das Synergiekonzept der Verkehrsverbände – ergebnisoffen und ohne ideologische Scheuklappen auf ihre Wirtschaftlichkeit und ihre verkehrlichen Wirkungen zu prüfen. Dann kann – nach der Landtagswahl 2021 – in Ruhe entschieden werden, ohne Wahlkampfgetöse und im Interesse der Fahrgäste. Wir haben dazu einen Änderungsantrag gestellt und werben um Ihre Unterstützung.

Zum Vorgehen bei der Abstimmung die Bitte an das Präsidium, dass wir die Punkte 1 und 2 zunächst abstimmen, denn die unterstützen wir Grünen voll und ganz. Danach dann unseren Änderungsantrag für die Punkte 3 bis 5. Die Punkte 6 und 7 sind dann wieder unstrittig.

Meine Damen und Herren, wir haben es jetzt in der Hand, aus den Versäumnissen bei der Planung von Stuttgart 21 zu lernen und nicht gleich wieder mit einem Tunnel und einer Milliarde Euro auf ein selbstverursachtes Problem, der Anbindung der Gäubahn an den Hauptbahnhof, zu reagieren. Wir haben die Zeit und wir sollten sie uns nehmen und dabei auch die Öffentlichkeit in geeigneter Weise einbinden. Ich denke im Übrigen auch an die Bürgermeister und Oberbürgermeister im Süden der Region und entlang der Gäubahn bis Singen. Auch deren Stimmen müssen gehört werden, es ist auch deren Gäubahn.

Um in diese Richtung ein deutliches Signal von überregionaler Verantwortung zu setzen, bitte ich Sie noch einmal unserem Änderungsantrag zuzustimmen.

Vielen Dank!