Rede zum Haushaltsentwurf 2018

Die Region Stuttgart steht vielleicht vor dem größten Strukturwandel seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs. Die Digitalisierung verändert Wertschöpfungsketten, Produktions- und Konsumweisen.

 

 

 

 

Rede von Prof. Dr. André Reichel Regionalversammlung 25. Oktober 2017

Sehr geehrter Herr Vorsitzender, sehr geehrte Frau Dr. Schelling, meine Damen und Herren:

Die Region Stuttgart steht vielleicht vor dem größten Strukturwandel seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs. Die Digitalisierung verändert Wertschöpfungsketten, Produktions- und Konsumweisen. Sie ermöglicht neue Produkte und Services, aber sie sorgt auch für einen dramatischen Wandlungsdruck auf etablierte Geschäftsmodelle. Digitalisierung ist dabei nicht nur „irgendwas mit Google“, sie greift tief in unsere Alltags-gewohnheiten ein. Die Vernetzung von Fertigungs- und Lieferprozessen, von Unternehmen und Konsumierenden, von Smart Homes, die klüger zu sein versprechen als Eigentümer, bis hin zu Smart Contracts, die klassische Verträge und Organisationen in Frage stellen: die Digitalisierung ist ein gesellschaftliches Phänomen, das keinen Lebensbereich unberührt lassen wird.

Gleichzeitig sehen wir durch die bereits heute absehbaren negativen Folgen des menschengemachten Klimawandels überdeutlich die Notwendigkeit einer Dekarbonisierung der Wirtschaft und unserer Lebensstile. Gerade was unsere Mobilität angeht, sind tiefgreifende Veränderungen unausweichlich. Eine Antwort im Automobilbereich, der für unsere Technologieregion so wichtig ist, kann die Elektromobilität sein. Sie kommt als Wandlungserfordernis zur Digitalisierung hinzu und meint damit nicht nur die Ersetzung des Verbrennungsmotors durch Batterien, sondern eine Neuerfindung individueller Automobilität im Vierklang aus elektrischen Antrieben, dem vernetzten Fahrzeug, autonomen Fahren und geteilter, gesharter Mobilität. Dies alles wird nicht nur auf die Automobilhersteller große Auswirkungen haben, sondern insbesondere auf die klein- und mittelständische Zulieferindustrie, dem Rückgrat der Wirtschaft in unserer Region.

Wir Grünen im Verband Region Stuttgart sind der Meinung, dass eine Wirtschaft 4.0 sich nicht alleine auf die Großen der Branche fokussieren darf, sondern dass es für einen erfolgreichen und zukunftsfähigen Wandel auch einen Mittelstand 4.0 besonders der kleinen und mittleren Betriebe benötigt. Die Robert Bosch GmbH oder Trumpf zähle ich nicht dazu, auch wenn die Selbstzuschreibung in diesen Unternehmen eine andere sein mag; uns Grünen geht es um die KMU in der ganzen Breite der regionalen Wirtschaft.

Dazu haben wir einen Antrag in die Haushaltsberatungen eingebracht, der den Erhalt und Ausbau der Innovationsfähigkeit unserer KMU in einer Wirtschaft 4.0 in den Mittelpunkt stellt. Wir wollen mit unserer WRS und in Abstimmung mit der IHK und der Hochschulregion herausfinden, welche Hemmnisse und Hürden gerade kleine und mittlere Unternehmen bei der Bewältigung des digitalen Wandels der Wirtschaft vor Ort haben. Wir wollen eine Plattform für Wissensaustausch und Beratung von KMU schaffen und gezielt jene Entscheiderinnen und Entscheider in Unternehmen ansprechen, die sich in den bisher existierenden Initiativen in der Region nicht wiederfinden. Als Grüne wollen wir den Verband und seine Wirtschaftsförderung hier eng an der Seite des Mittelstands in der Region sehen. Der Wandel, den ich am Anfang mit einer gewissen Dramatik beschrieben habe, kann mehr Chance als Risiko sein, wenn wir ihn auf allen Ebenen mutig gestalten.

Der Wandel hin zu einer Region der nachhaltigen Mobilität macht dabei natürlich nicht beim Auto halt. In der Kernaufgabe des Verbands hat sich in den vergangenen Jahren, auch auf Grünen-Initiative, viel getan. Der Viertelstundentakt bei der S-Bahn ist beschlossen, die regionalen Expressbusse fahren und die VVS-Tarifzonenreform mit dem Wegfall der Sektorengrenzen kann hoffentlich bald Wirklichkeit werden. Ein Thema, das wir hier in dieser Regionalversammlung und im Verkehrsausschuss seit dem Inkrafttreten des ÖPNV-Pakts diskutieren, aber bei dem wir noch nicht wesentlich vorangekommen sind, ist Park & Ride. Hier hat der Verband Kompetenzen übertragen bekommen, für die er auch Umlagemittel in die Hand nehmen kann. Wir Grünen sind der Meinung, dass gerade für die von weiter außen in den Kernraum der Region einpendelnden Autofahrerinnen und Autofahrer ein attraktives Angebot zum Umstieg in den ÖPNV gemacht werden muss. Im Haushalt beantragen wir deswegen, einen Betrag von 2 Millionen EUR jährlich über die nächsten 5 Jahre einzustellen, der zur Finanzierung von Park & Ride-Plätzen zur Verfügung steht. Dies soll im Vorgriff auf eine zu gründende Betreibergesellschaft geschehen. Wir wollen nicht auf deren Gründung warten, sondern bereits im nächsten Jahr die finanziellen Möglichkeiten haben, an regional bedeutsamen P&R-Anlagen Stellplätze zu mieten und möglichst schnell in die Umsetzung des geplanten P&R-Konzepts zu kommen.

Sie sehen, meine Damen und Herren, wir haben als Grüne vielleicht kein Benzin im Blut, sondern eher Ökostrom, aber das Auto wird bei uns immer mitgedacht.

Im Fokus unserer Grünen Bemühungen steht aber der ÖPNV und auch hier wollen wir uns insbesondere den Pendlerinnen und Pendlern widmen. Für eine wirklich nachhaltige Mobilität braucht es zum einen die zuverlässige Anbindung von Gewerbegebieten an die S-Bahn- und sonstigen Eisenbahnstationen mit Bussen. Die IHK und die Handwerkskammer der Region wollen wir dabei in die Pflicht nehmen, ein Konzept zur Finanzierung von Shuttlebussen zu entwickeln, die vor allem in den Hauptverkehrszeiten schnell und unkompliziert Pendle-rinnen und Pendler von Schienenverkehrshaltestellen in die Gewerbegebiete bringen. Ebenso wollen wir die Kammern unterstützen, Pedelec-Abstellplätze und Ladestationen bei Unternehmen einzurichten und diese auch durch die Wirtschaft finanzieren zu lassen. Ein letzter Schwerpunkt dieser Initiative ist die Umsetzung neuer Konzepte bei der Innenstadtlogistik, zur Entlastung bei Feinstaub und Stau. Insgesamt wollen wir dafür 100.000 EUR in den Haushalt einstellen um so ein Konzept für die nachhaltige Gestaltung von Wirtschaftsverkehren zu entwickeln.

In die Zukunft gerichtet ist ein weiterer Antrag zur Prüfung möglicher Kapazitätsreserven im S-Bahn-Netz der Region. Wie wir alle wissen, wird die Schlagzahl unserer S-Bahn was Takte und Verbindungen angeht, durch die Stammstrecke in der Stuttgarter Innenstadt begrenzt. Um hier zu neuen Lösungen im Zuge der Realisierung von Stuttgart 21 zu gelangen, haben wir im Verband eine Machbarkeitsstudie in Auftrag gegeben, die sich mit der Panoramastrecke und möglichen Verbindungen über den Nordbahnhof und die Option T-Spange/Nordkreuz befasst. Hier wollen wir einen Antrag anschließen, der unser S-Bahn-Netz in Teilästen untersucht um herauszufinden, wo es außerhalb der Stammstrecke noch Kapazitätsreserven für mehr Züge und neue Verbindungen gibt. So fährt die S-Bahn zwischen Plochingen und Bad Cannstatt auf eigenen Gleisen und könnte gerade dort häufiger fahren als alle 15 Minuten. Nur wäre eben bisher dann auch in Bad Cannstatt Schluss. Wenn wir aber das Netz weiterdenken, dann müssen wir bereits heute mögliche Verknüpfungen solcher Teiläste im S-Bahn-Netz prüfen lassen und uns über mögliche neue und verdichtete Linienführungen der S-Bahn nach S21 Gedanken machen.

Meine Damen und Herren, ich nannte vorher kurz im Vorbei-gehen die regionalen Expressbusse. Seit Dezember 2016 sind sie auf der Straße und erschließen zum Teil völlig neue ÖPNV-Achsen, die bisher nicht bedient wurden. Die Rezeption seitens der Fahrgäste ist allerdings noch nicht so, wie wir Grüne uns das wünschen würden. Hier ist im Rahmen der Evaluation der Expressbusse zu prüfen, inwiefern Anpassungen bei den Fahrplänen und Haltestellen geeignet wären, die Akzeptanz und die Nutzung zu erhöhen. Ebenso wollen wir bereits im nächsten Jahr prüfen lassen, welche weiteren Linien in der zweiten Phase ab 2019 dazukommen könnten. Hierbei sollen insbesondere Anbindungen über Gewerbestandorte untersucht werden, die einen unattraktiven ÖPNV-Anschluss haben z.B. eine mögliche Verlängerung der Linie X60 nach Ditzingen zu Thales.

Wenn wir schon bei einem der regionalen Bestandteile des ÖPNV-Pakts sind, so wollen wir uns auch der An- und Abdienung der S-Bahn in den Kreisen durch deren Busverkehre widmen. Gerade der bis 2020 zu realisierende 15-Minuten-Takt bei der S-Bahn erzwingt eine Anpassung bei den Busverkehren. Und zu guter Letzt, Sie haben es vielleicht schon vermisst, der S-Bahn-Gipfel!

Alle Jahre wieder haben wir ihn und wir Grünen wollen hier die DB in ihren Töchtern Region, Netz, Station & Service auch einmal loben. Wenn wir auch jedes Jahr etwas auszusetzen haben und die S-Bahn-Qualität eine Dauerbaustelle im wahrsten Sinne des Wortes zu sein scheint, so hat sich dieser Termin doch bewährt. Der Austausch an Informationen und Ansichten ist in diesem Jahr weniger kontrovers, sondern eher kollegial und nach vorne gerichtet gewesen. Wir hoffen, dass wir in diesem Geist auch weiter arbeiten können, wollen aber jetzt schon einen Bericht seitens der DB beantragen zu dem von ihr geplanten Infrastrukturkostenbeitrag am Bahnknoten Stuttgart. Zum Hintergrund: das Land hat im Vertrag zu den Regionalisierungsmitteln einen Infrastrukturkostenzuschuss in Höhe von 100 Millionen EUR in Aussicht gestellt. Dieser Betrag steht zur Verfügung, wenn sich Verband und Bahn ebenfalls beteiligen. Der VRS hat dazu bereits Mittel im Haushalt bereitgestellt, jetzt ist aber die DB am Zug. Gerade weil Investitionen in Bahninfrastruktur eigentlich keine regionale Aufgabe sind, wollen wir auf dem S-Bahn-Gipfel 2018 von der DB ihren Infrastrukturkostenbeitrag vorgestellt bekommen.

Wir haben diesmal keinen Antrag im Planungsbereich. Da im Moment aber Untersuchungen und Projekte mit eigenen Veranstaltungen zur Gewerbe- und Wohnbauentwicklung stattfinden und geplant sind – wie das heutige Wohnbauforum – wollen wir erst deren Ergebnisse abwarten. Was wir nach den Haushaltsberatungen aber dringend angehen müssen, ist die Formulierung einer gemeinsamen Haltung wie der Planungsausschuss künftig die im Regionalplan formulierten Ziele mit dem aktuellen Paragraphen 13b Baugesetzbuch nachhaltig in Einklang bringen kann.

Meine Damen und Herren, ich habe mit den großen Veränderungen durch die Digitalisierung begonnen und bin bei der DB und unserer S-Bahn gelandet. Das zeigt auch, welche Themenvielfalt wir im Verband und seiner Regionalversammlung bearbeiten, unterstützt durch die hohe Kompetenz der Verbandsverwaltung – und das seit fast 25 Jahren, im Jahr 2019 feiern wir hier Jubiläum. Ich hoffe, dass wir mit diesem Haushalt 2018, der jetzt mit allen Anträgen in die Beratungen geht, eine gute Grundlage für das 25. Jahr des Verbands Region Stuttgart schaffen können.

Vielen Dank!