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Regionales Engagement zu Künstlicher Intelligenz

Rede von Dr. Cleo Becker

Sehr geehrter Herr Bopp , sehr geehrte Herr Lahl, sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen,

Sehr geehrter Herr Rogg,

Vielen Dank für Ihren Bericht zu den Aktivitäten der WRS bezüglich der Förderung von KI in der Region Stuttgart.

KI ist kein reines Zukunftsthema mehr, es ist längst in vielen Bereichen unseres täglichen Lebens angekommen – sei es als Suchmaschine beim Recherchieren von Informationen, beim Autofahren in Form von Spurhalteassistenz, im Versicherungs- oder Steuerwesen beim Aufspüren von Anomalien, in der Medizin bei der Erkennung von Tumoren in der bildgebenden Diagnostik, selbst in der Rechtsprechung gibt es lernende Systeme, die dazu dienen sollen, teilweise hochkomplexe Datenmassen zu sortieren und zu analysieren und das schneller und womöglich auch besser als ein Mensch. Auch Bots und personalisierte Werbeangebote in den Social Media kennen wir alle. Es ist sogar schon so weit, dass ich bei Anbietern Artificial Intelligence as a Service (AIaaS) bestellen kann, eine Art KI-Grundanwendung, die beispielsweise auf Bild- oder Spracherkennung vortrainiert und dann je nach konkreter Anwendung mit Daten feintrainiert und an die Anforderungen eines Unternehmens angepasst werden.

Sie beschreiben in Ihrem Bericht, dass nach Umfragen der Kammern noch viel zu wenige Unternehmen bereit oder in der Lage sind, KI-Anwendungen in ihrem Unternehmensbereich einzusetzen. Das ist nicht sehr überraschend – wird doch die Digitalisierung in vielen Bereichen nach wie vor als „Neuland“ aufgefasst und nicht konsequent umgesetzt. Man zögert aus Angst oder Überforderung oder hat einfach keine Zeit oder Lust, sich mit den neuen Technologien auseinanderzusetzen. Wer dies jedoch ablehnt, hat sich einen Bärendienst erwiesen. Die technologischen Entwicklungen lassen sich nicht aufhalten – also ist man klug beraten, sich schlau zu machen, um mitreden und vor allem mitgestalten zu können. Speziell in unserer Region, die so sehr vom Autobau abhängig ist, braucht es dringend Technologien, mit denen man sich breiter oder ganz neu aufstellen und so einen Wettbewerbsvorteil erreichen kann. Und KI hat dieses Potenzial! Umso wichtiger ist es, dieses Thema klug anzugehen, und zwar in allen seinen Aspekten: Zunächst schlicht durch Aufmerksamkeit für und Informationen über das Thema.

Man muss zeigen und greifbar machen können, was KI kann, aber auch, was sie nicht kann. Unter Umständen ist der Einsatz von KI-Anwendungen sehr aufwändig, da muss gut überlegt werden, ob es sie wirklich braucht, oder ob ein einfacherer Algorithmus nicht ausreichend wäre. KI hat eben Stärken und Schwächen: Für die Steuerung von Massenprozessen wie Logistik- oder Mobilitätssteuerung ist KI gut eingesetzt, bei der Entscheidung über Einzelfälle hingegen, die Personen und ihre Rechte betreffen, ist die Kontrolle von Menschen über die Programme unerlässlich! KIs „erben“ die Voreingenommenheit und Fehler von denen, die die Trainingsdaten aufbereiten und bereitstellen. KI-Anwendungen sind nichts anderes als „Korrelationsmaschinen“, wie Philip Häusser so treffend formuliert, sie können keine Kausalitäten erkennen. Sie können auch keine Empathie oder Intuition einsetzen, sie sind nicht wirklich kreativ! All dieses sind Fähigkeiten, ohne die eine Gesellschaft bzw. die Wirtschaft nicht auskommen. KIs können ein paar Dinge schon besser als Menschen, aber sie können diese nicht ersetzen.

Dazu kommen verschiedene Herausforderungen, die KI-Anwendungen mit sich bringen: Nehmen wir an, ich bin ein mittleres Unternehmen und interessiere mich ernsthaft für eine vortrainierte KI-Anwendung über AI as a Service: da stellen sich verschiedene Fragen! Zum Beispiel zur Qualität der Trainingsdaten: sie bestimmt maßgeblich die Güte der Anwendung! Ich muss wissen, welche Daten in welcher Qualität zum Trainieren benutzt wurden und ich muss die „Trefferquote“ der KI kennen, um auf Basis ihrer Vorschläge Entscheidungen treffen zu können. Woher kommen also die Trainings-Daten? Und habe ich die richtigen Daten für das Feintuning? In ausreichender Menge? Und sind meine Daten in der Cloud eines AIaaS-Anbieters wirklich sicher? Ich schiebe womöglich intime Geschäftsgeheimnisse oder sensible Kund*innendaten in eine fremde Cloud. Sicherheit ist ein großes Thema bei KI! Und was passiert, wenn ein Fehler passiert oder Daten abgegriffen werden? Wer ist haftbar? Mein Unternehmen? Der Anbieter des KI-Service? Als Kund*in: kann ich wegen Voreingenommenheit, falscher Entscheidungen oder Datensicherheitsverletzungen klagen? Wie weise ich das jeweils nach? Angesichts dieser komplexen Herausforderungen ist es nachvollziehbar, dass selbst bei grundlegendem Interesse an KI-Anwendungen bei einem Unternehmen – insbesondere KMU - schlichtweg die Möglichkeiten dazu fehlen.

Als der Zug „Adler“ das erste Mal die Strecke Fürth – Nürnberg fuhr, schrieb ein evangelischer Pfarrer, dass ein solches Gefährt wohl direkt aus der Hölle käme und alle, die mit ihm fahren, in eben dieser Hölle landen würden. Man hatte Angst vor Gehirnerkrankungen und Lungenentzündungen durch den Fahrtwind! Als Bertha Benz ihre berühmte Pionierfahrt unternahm, wurde sie beschimpft und es wurden sogar Steine nach ihr geworfen! Niemand hätte sich träumen lassen, dass nur zwei Generationen später bereits der Alltag der Menschen durch diese neuen Fortbewegungsmittel so sehr geprägt und geformt wird. Erlauben Sie mir, die Analogie mit dem Automobil etwas fortzuführen: wir alle sind uns einig darin, dass die Entwicklung unserer Welt, wie wir sie kennen, ohne das Automobil und den Verbrennungsmotor nicht möglich gewesen wäre. Wir können uns über Aspekte darüber, wieviel Raum Autos heute noch einnehmen sollten und welche Technologien angewandt werden, durchaus streiten. Aber niemand, der klaren Geistes ist, würde heute anzweifeln, dass die Einführung von Verkehrsregeln, Führerschein, Qualitätsstandards und regelmäßiger TÜV-Kontrolle oder die obligatorische Haftpflichtversicherung für den Fall eines Schadens richtig und notwendig war. Selbst das Anlegen eines Sicherheitsgurtes wird heute von den meisten Menschen selbstverständlich akzeptiert. Weil all dies unser Leben mit dem Auto sicherer gemacht hat. Schon Kinder lernen früh, sich in der Verkehrswelt zurecht zu finden. Wir haben uns also über die Zeit mit dem Auto und allem, was die Technologie mit sich bringt, auseinandergesetzt, es ist Allgemeinwissen.

Eben dies müssen wir auch mit Themen wie Künstlicher Intelligenz tun, haben dazu allerdings keine zwei Generationen Zeit! Man kommt nicht in die Hölle, wenn man KI-Anwendungen nutzt, aber man muss sich sehr gut auskennen, um sie zielgerichtet einzusetzen. Es braucht einen Wertekompass, um KI-Anwendungen für die Gesellschaft nutzbringend zu verwenden. Es reicht nicht, IT-Fachkräfte (wenn man sie angesichts des immensen Fachkräftemangels speziell auf diesem Gebiet überhaupt hat) im Unternehmen zu haben, die KI-Anwendungen einschätzen können. Ein Mindestmaß von Wissen, eine Haltung müssen auch die jeweiligen Entscheidenden und Anwendenden haben!
Wie bereits am Anfang meiner Rede gesagt: KI ist bereits da und ein wichtiges Zukunftsthema! Es birgt riesige Chancen für unsere Region und fordert uns an vielen Stellen. Wir können und wollen uns diesem Thema stellen!

Deshalb ist es gut, Herr Rogg, dass die WRS dazu beiträgt, vielerorts und vielfach Möglichkeiten für KI-Start-Ups und deren Vernetzung zu schaffen, genauso wie die Verbindung zu den Hochschulen und etablierten Firmen zu ermöglichen – in Zeit und Raum! Die von Ihnen aufgezählten Initiativen sind beeindruckend und sollten dringend weiterverfolgt werden! Entsprechende Arbeitsräume modern, innovationsfördernd, klimaneutral (besser noch: klimapositiv!) und Cradle to Cradle zu gestalten, sollte in der heutigen Zeit angesichts der verschiedenen Krisen, denen wir uns stellen müssen, der Mindeststandard sein! Neuen Wein steckt man nicht in alte Schläuche! Insbesondere Automatisierung, elektronische Steuerung von Prozessen, aber auch steigende Rechenleistungen sind energieintensiv und können dazu führen, dass Stromeinsparpotentiale, die zum Beispiel durch KI-Anwendungen aufgedeckt werden, verpuffen – der sogenannte Rebound-Effekt. Es ist auch gut, dass Themen wie Datenstandards, Datensicherheit und Normierung bereits diskutiert werden – es braucht die systematische Auseinandersetzung auch mit den Grenzen und Risiken von KI. Ein bisschen fehlt das Thema Aus- und Weiterbildung. KI in Showrooms greifbar und erlebbar zu machen ist wichtig, aber reicht nicht für den profunden Wissensaufbau, den das Thema erfordert.

Diesbezüglich ist die Aus- und Weiterbildung nicht nur an Schulen und Hochschulen, sondern gerade auch in den Kammern, bei den Arbeitgeberverbänden und bei den Mitbestimmungsorganen gefordert! Es ist gut, dass auch ethische Fragestellungen diskutiert werden: Hinsichtlich der Kommerzialisierung von KI-Anwendungen, aber auch den mit dieser Technologie verbundenen ethischen Fragestellungen möchte ich die Idee einer Arbeitsgruppe aus dem Umfeld der Stuttgarter Universität aufgreifen und unterstützen: das Verleihen eines Labels für eine KI-Anwendung, welches das Einhalten ethischer Prinzipien garantiert. Ein solches Label, auf das sich beispielsweise regionale Unternehmen, die KI-Anwendungen einsetzen, einigen, kann durchaus zur Markenprägung beitragen, indem es Qualität sichert und Orientierung bietet. Vielleicht könnten Sie auch eine Veranstaltung mit einem Professor oder einer Professorin anbieten, die sich mit Ethik in der KI befassen – da gibt es mittlerweile einige, z. B. in Ulm, Osnabrück oder Bonn.

Insgesamt danken wir als Grüne Fraktion der WRS und insbesondere Herrn Dr. Rogg und seinen Mitarbeitern für die gute Arbeit und wünschen weiterhin viel Erfolg! Wir werden Sie auf diesem Weg unterstützen und (kritisch) begleiten!