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Rede zum Haushaltsplanentwurf 2022 Regionalversammlung 20.10.2021

Wir Grünen wollen dem Haushalt eine zukunftsweisende Richtung geben: für mehr Nachhaltigkeit und Klimaschutz, für eine proaktive Gestaltung des wirtschaftlichen Wandels, für behutsamen und vorsorgenden Umgang mit Flächen, für zukunftsfähige Mobilität.

Sehr geehrter Herr Vorsitzender,

sehr geehrte Frau Dr. Schelling,
sehr geehrte Mitglieder der Regionalversammlung,

dies ist der Auftakt zu den zweiten Haushaltsberatungen im Zeichen der Corona-Pandemie. Auch wenn wir in Deutschland bei den Menschen über 18 Jahren auf eine Impfquote von mehr als 71 Prozent kommen, liegt die 7-Tage-Inzidenz momentan bei fast 73 – deutlich mehr als in Frankreich oder Italien. Nichtsdestotrotz ist Optimismus angebracht, dass im nächsten Frühjahr die Pandemie bei uns vorüber ist. Weltweit gilt das aber noch lange nicht, hier sind leider erst etwas mehr als 36 Prozent vollständig geimpft, und die Pandemie wird uns wegen der weltwirtschaftlichen Verflechtung der deutschen und der regionalen Wirtschaft noch einige Zeit begleiten.

Während die eine Krise in ihrer unmittelbaren Gefahr nun gebannt zu sein scheint, rückt eine andere wieder in den Vordergrund: die menschengemachte Klima-Krise. Im Jahr 2021 kann man nicht mehr nur von Klimawandel sprechen. Es geht nicht länger um eine abschätzbare, langsame, ja beinahe natürliche Veränderung, deren Auswirkungen gut beherrschbar sein werden. Der britische „Guardian“ hat vor wenigen Tagen einen langen Beitrag veröffentlicht unter der Überschrift „Die Klima-Katastrophe ist da“ – angesichts der weltweit unzähligen Jahrhundertbrände und Jahrhundertfluten in diesem Jahr, sicherlich keine strittige Behauptung. In den nächsten 10 Jahren werden wir das Pariser Klimaziel von 1,5 Grad ziemlich sicher überschreiten. Ob wir die 2 Grad Erderwärmung einhalten können, ist ungewiss. Hier liegen große Erwartungen auf der nächsten Bundesregierung, deren wahrscheinliche Koalitionäre sich in ihrem Sondierungspapier zu einer Offensive bei den Erneuerbaren und einem beschleunigten Kohleausstieg bekannt haben. Die Urteile des Bundesverfassungsgerichts zum deutschen Klimaschutzgesetz sowie des französischen Verwaltungsgerichts zu den Klimaschutzmaßnahmen Frankreichs zeigen, dass wir alle hier in der Pflicht sind, mehr zu tun als bisher. Die Freiheit der Gegenwart darf die Freiheit der Zukunft nicht gefährden.

Ein weiterer Punkt im Sondierungspapier von SPD, Grünen und FDP ist die Digitalisierung der öffentlichen Verwaltungen und die Beschleunigung von Verfahren. Gerade für den VRS als Planungsverband, auch als Nahverkehrsverband, ist das ein wichtiger Hinweis. Um beim Klimaschutz voranzukommen, müssen alle politischen Ebenen viel Geld in die Hand nehmen – aber das bringt nur dann viel, wenn die Umsetzung von Projekten z.B. im Verkehrsbereich nicht Jahrzehnte dauert. Wir müssen in den 2020er Jahren Wege finden für bedeutsame Vorhaben im Verkehr, aber auch was die Transformation der Wirtschaft weg vom CO2 hin zu neuen, auch digitalen Wirtschaftszweigen betrifft. Mit Beschleunigung von Verfahren ist dabei NICHT gemeint, die etablierten Beteiligungsprozesse der Bürgerschaft und betroffener Verbände einzuschränken oder gar auszuhebeln. Wir Grünen wollen das nicht. Wir sind schließlich nicht in China. Es wird eher verstärkt um Flächenausgleich gehen, gerade wenn wir über die Notwendigkeit neuer Flächen für Zukunftsindustrien sprechen.

Der Haushalt für das nächste Jahr wird dabei groß. Nachdem die Verkehrsumlage im letzten Jahr und die Verbandsumlage in den letzten beiden Jahren gesunken sind, steigen sie dieses Mal. Auch die Kreditaufnahme steigt deutlich. Der Verband hat die Zukunftsfähigkeit der Region im Blick. Er investiert vor allem in neue S-Bahn-Fahrzeuge und die Qualitätsoffensive Schienenknoten Stuttgart, auch mit ETCS – aber ebenso in das Förderprogramm Wasserstofftechnologie. So wie die wahrscheinlichen Koalitionäre im Bund Deutschland zukunftsfest machen wollen, so muss auch die Region zukunftsfest gemacht werden.

Ich will beim Bereich Wirtschaft anfangen. Hier hat die Wirtschaftsförderung mit ihrem Geschäftsführer, Dr. Walter Rogg ein beeindruckendes Konsortium zur Forschung und Umsetzung von Technologien im Bereich Künstliche Intelligenz geschmiedet. Die Region Stuttgart auf die KI-Landkarte in Deutschland und Europa zu setzen, ist die treibende Motivation dahinter. Auch wenn wir beim Wettbewerb des Landes mit unserem KI-Innovationspark nicht zum Zuge gekommen sind, haben alle Konsortialpartner bekräftigt, weiterhin an diesem Thema gemeinsam arbeiten zu wollen. Das Ministerium hat dies entsprechend mündlich gewürdigt. Weitere Fördermittel des Landes bleiben noch offen. Umso wichtiger ist es, jetzt ein starkes Signal zu setzen und unseren Willen zu bekräftigen, die vorgestellten Aktivitäten rund um KI anzugehen und fortzuführen. KI ist dabei aus Grünen-Sicht eine entscheidende Enabler-Technologie für vielfältige Anwendungen im Bereich Energie und Mobilität zur Bekämpfung der Klimakrise. Die Region Stuttgart muss Heimat für KI-Entwicklungen und -Umsetzungen werden. Sicherlich betreiben Unternehmen und Forschungseinrichtungen auch ohne gemeinsames Dach ihre Themen weiter – aber gerade dieses gemeinsame Dach ist entscheidend dafür, die Region Stuttgart für einen neuen, zukunftsfähigen Industriezweig sichtbar und attraktiv zu machen. Wir Grünen tragen den interfraktionellen Antrag zum KI-Innovationspark mit.

KI ist ein Baustein von vielen, der unsere regionale Wirtschaft hin zu einer Nachhaltigkeitsregion unterstützt. Gerade hier hat die WRS mit der Formulierung der „10 Thesen für Nachhaltigkeit“ einen wichtigen Beitrag geleistet. Damit bekennt sich die Region als Ganzes zu einem Ansatz, der Wirtschaft und Gesellschaft in den Rahmen einer Nachhaltigen Entwicklung stellt: besser und anders wirtschaften, nicht einfach nur mehr vom selben; regionale Wirtschaft auf die Einhaltung planetarer Grenzen ausrichten, Geschäftsmodelle der Kreislaufwirtschaft von Remanufacture, Repair und Re-Use ins Zentrum rücken. Diesen von der WRS in Gang gesetzten Prozess hin zu einer Nachhaltigkeitsregion unterstützen wir Grünen gern. Dazu braucht es aber auch eine regionale Nachhaltigkeitsberichterstattung, die wir mit einem Antrag zu einem erweiterten Regionalmonitor und Regionalentwicklungsbericht voranbringen wollen. In Richtung Kreislaufwirtschaft zielt auch unser Antrag zum Baustoffrecycling. Gerade im Bau-Bereich ist der Materialverbrauch, und damit auch die Klimawirkung, hoch. Hier wollen wir wissen, wie die Anteile an recyceltem Beton und an recycelten Baustoffen bei Bauvorhaben in der Region signifikant gesteigert werden können.

Für die Transformation zu einer klimaneutralen Wirtschaft und Gesellschaft werden wir aber deutlich mehr erneuerbaren Strom benötigen. Auch wenn Baden-Württemberg und die Region Stuttgart Stromimporteure bleiben werden, müssen wir dennoch vor Ort eigene erneuerbare Energien im Einklang mit Natur und Umwelt ausbauen. Deswegen wollen wir das Thema Solarenergie vorantreiben, zum einen in der Freiflächenphotovoltaik, zum anderen mit einer Solardachoffensive Region Stuttgart, bei der die Rückstände im PV-Ausbau aufgeholt werden sollen.

Neben dem Strom benötigen wir als weiteren Energieträger Wasserstoff, der für alle Anwendungen erforderlich ist, die klimaneutral hohe Temperaturen benötigen (also industrielle Erzeuger) oder schwere Lasten über weite Strecken bewegen (Schiff, LKW, Flugzeug). Um es aber klar zu sagen: eine Arbeitsbeschaffungsmaßnahme für die Hersteller von Verbrennungsmotoren in PKW ist Wasserstoff sicher nicht. Dafür muss er zu aufwändig erzeugt werden und benötigt, als grüner Wasserstoff, viel erneuerbare Energien. Die Prioritäten von uns Grünen liegen deswegen bei Wasserstoff im Maschinen- und Anlagenbau, also der klassischen Stärke der Wirtschaft im Südwesten bei Investitionsgütern, sowie bei Brennstoffzellen für den Warentransport über lange Strecken.

Im Bereich Planung ist es unser grünes Anliegen, bei der Flächenneutralität konkret zu werden. Denn auch im behutsamen Umgang mit unseren knappen Flächen entscheidet sich die Zukunftsfähigkeit der Region. Meine Fraktionskollegin Dorothee Kraus-Prause hat es so treffend formuliert: Fläche ist nicht einfach da, Fläche ist ein wertvolles Gut mit sich widersprechenden Nutzungsansprüchen – Landwirtschaft, Naherholung, Gewerbe, Wohnen, Verkehr, Biodiversität. Fläche kann dabei in den allermeisten Fällen immer nur einer Nutzung zugeführt werden, für alle anderen Nutzungen steht sie dann nicht mehr oder nur sehr eingeschränkt zur Verfügung. Die Flächenneutralität bis 2030 soll deswegen mit geeigneten Maßnahmen in der Region Stuttgart angegangen werden. Schritte dazu sind ein strategischer Dialog u.a. mit den Landesnaturschutzverbänden und entsprechende zielführende Modellprojekte. In diesen Zusammenhang gehört auch die Umwidmung oder Wiedernutzung von Brachen. Ebenso wollen wir Grünen das bisherige regionale "Kofinanzierungsprogramm zur Sicherung und Aktivierung regional-bedeutsamer Gewerbeflächen“ anpassen und zukünftig auch die Nachverdichtung bestehender Gewerbebauten finanziell fördern. Dabei ist uns aber auch klar: hier muss sich das Land engagieren mit einem Förderprogramm Gewerbebau im Bestand. Die Ministerin war ja neulich bei uns in der Regionalversammlung und hat unser Ansinnen hoffentlich gehört.

Beim Wohnen sind zwar vor allem die Kommunen gefragt, wenn es um bezahlbaren Wohnraum für alle Lebenslagen und sozialen Schichten geht. Aber ein Instrument hat der Verband: die Dichtewerte. Wir Grünen wollen dazu vorgestellt bekommen, inwieweit eine Erhöhung der Dichtewerte des Regionalplans zu einer maßgeblichen Unterstützung bei der Bereitstellung von bezahlbarem Wohnraum beitragen kann.

Am Herzen liegt uns Grünen auch die IBA StadtRegion 2027. Dazu nur ein paar Worte. Wir stehen als Fraktion voll und ganz hinter der IBA. Das Team um Intendanten Andreas Hofer leistet hervorragende Arbeit und wir sind bereit, mit einem Beitrag des Verbands die Zukunftsfähigkeit der IBA StadtRegion 2027 zu gewährleisten. Um hierüber Klarheit zu gewinnen, freuen wir uns auf den Bericht der IBA im Aufsichtsrat und sind dann offen für weitere Gespräche mit allen Fraktionen in der Regionalversammlung.

Im Bereich Verkehr muss ich, wie jedes Jahr, zunächst ein paar Worte zum VVS-Tarif verlieren. Grundsätzlich gilt für uns Grüne: guter ÖPNV darf auch die Fahrgäste etwas kosten, Tariferhöhungen sind daher nicht tabu. Sie müssen aber immer im Verhältnis zu den Verbesserungsmaßnahmen stehen und auch die allgemeine wirtschaftliche Lage der Menschen berücksichtigen. Eine Tariferhöhung unter zwei Prozent wäre aus unserer Sicht verkraftbar und vertretbar gewesen, die anstehende Erhöhung von 2,5 Prozent halten wir Grünen aber für das falsche Signal. Man kann hier auch nicht mit der Inflationsrate argumentieren, die war im letzten Jahr fast durchweg bei 0 Prozent, die Tarife sind dennoch um 2,66 Prozent gestiegen. Das Verfahren der Tariffindung im VVS ist aber klar: die Verkehrsunternehmen melden ihre Kostensteigerungen und der SSB-Aufsichtsrat trifft den ersten Beschluss der Tarifrunde. Damit sind dann faktisch alle anderen Gremien festgelegt. Wir Grünen setzen deswegen einige Erwartungen in die Ausweitung der Tarifrunde von einem auf zwei Jahre, perspektivisch vielleicht sogar auf drei Jahre. Das entzerrt das Tariffindungsverfahren und erlaubt auch den politischen Gremien mehr Zeit für eine Meinungsbildung – und eben auch die Möglichkeit, manche Erhöhungen zumindest in Teilen mit öffentlichen Mitteln abzufedern.

Uns Grünen ist aber klar, dass es dafür ein neues Finanzierungsinstrument beim ÖPNV braucht: einen regionalen Mobilitätspass. Der Mobilitätspass stellt eine notwendige zusätzliche Säule zur Finanzierung des ÖPNV dar, ohne ihn kann der ÖPNV nicht zukunftsfest gemacht werden. Im aktuellen Koalitionsvertrag haben Grüne und CDU bekräftigt, dies im Land zu ermöglichen. Umso irritierter sind wir, dass es jetzt gerade die CDU ist, die davon nichts mehr wissen will. Zukunftsfähigkeit braucht auch Zuverlässigkeit!

Ein wesentlicher Träger des ÖPNV in der Region Stuttgart ist unsere S-Bahn und damit ihr Aufgabenträger, der Verband Region Stuttgart. Wir Grünen wollen daher ein Gutachten zu einem regionalen Mobilitätspass in Auftrag geben, um zu sehen, welche finanziellen und verkehrlichen Wirkungen dieser hat und auch um ein kommunales Durcheinander zu vermeiden. Der OB der Landeshauptstadt, mein geschätzter Regionalratskollege Dr. Frank Nopper hat sich ja einmal für einen regionalen Mobilitätspass – im Gegensatz zu einem rein kommunalen – ausgesprochen. Da hoffe ich doch sehr, dass wir zumindest bei einem Gutachten dazu seine Unterstützung haben.

Für die Zukunftsfähigkeit unserer S-Bahn brauchen wir aber auch, neben der digitalen Schiene, die Schiene aus Stahl. Eine wichtige Bestandsinfrastruktur ist dabei die Panoramabahn im Stuttgarter Norden. Während der Stammstreckensperrung im vergangenen Sommer hat sich gezeigt, dass diese nicht im besten Zustand ist. Gerade die Panoramabahn ist aber in unserer Region unverzichtbar. Nicht nur als Ausweichstrecke bei einer Sperrung der S-Bahn-Stammstrecke, sondern auch für die Weiterentwicklung des Schienenverkehrs in der Region (siehe VWI-Studie von 2014) sowie einer möglichen Infrastrukturerweiterung im Bahnknoten Stuttgart. Hier wollen Grüne, SPD, FDP und die Fraktion Linke/Pirat ansetzen mit einem Antrag, der auch den Auftrag zu einer Studie mit Land und Landeshauptstadt beinhaltet, mehrere Sanierungs- und Ausbauszenarien auf der Panoramabahn darzustellen. Danach können wir uns als Gremium die nächsten Schritte überlegen. Dies ist auch ein deutliches Signal an das Land sich bei der Panoramabahn stärker zu engagieren und auf den Verband zuzugehen.

Bei der S-Bahn wollen wir Grünen, gemeinsam mit SPD und der Fraktion Linke/Pirat, noch einmal einen Anlauf zur Umstellung auf Ökostrom unternehmen. Die Landesverkehre fahren mit Ökostrom, die Stadtbahn Stuttgart ebenso, nur unsere S-Bahn nicht. Dies wäre eine sehr einfache Maßnahme für mehr Klimaschutz vor Ort, die wir anschieben wollen. Die dauerhafte Finanzierung muss dann im Eigeninteresse der DB sein, schließlich steht auf der Konzern-Homepage unter dem Schlagwort Nachhaltigkeit „Wir übernehmen Verantwortung“. Lieber Herr Dr. Rothenstein, da nehmen wir Sie gern beim Wort.
In diesem Jahr gab es beim ÖPNV-Ausbau aber auch ein unschönes Erwachen: eine S-Bahn von den Fildern ins Neckartal wird es nicht geben. Die einzige Schienenalternative, der Stuttgart-Kirchheim-Express, steht noch in den Sternen und hätte auch nicht dieselbe Naherschließungswirkung wie die S-Bahn. Deswegen wollen wir Grünen gemeinsam mit den Sozialdemokraten mögliche neue Expressbuslinien jenseits des X10 zwischen dem Filderraum und dem Neckartal prüfen lassen. Die Bedienqualität und Erschließungswirkung sollen dabei mit einer S-Bahn vergleichbar sein. Gleichzeitig wollen wir beim Angebot der Expressbusse weiterkommen und prüfen, bei welchen Linien eine Taktverdichtung auf 15 Minuten sinnvoll ist.

Liebe Mitglieder der Regionalversammlung, mit diesen Anträgen wollen wir Grünen dem Haushalt - wie bisher auch - eine zukunftsweisende Richtung geben: für mehr Nachhaltigkeit und Klimaschutz, für eine proaktive Gestaltung des wirtschaftlichen Wandels, für behutsamen und vorsorgenden Umgang mit Flächen, für zukunftsfähige Mobilität. Wir freuen uns auf die anstehenden Beratungen und den kollegialen Austausch und sind guter Dinge, dass es uns auch dieses Mal gelingen wird, die Weichen auf Zukunft zu stellen.

Vielen Dank!