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Rede Regionalversammlung 21.10.2020

Wirtschaftlichen Wandel gestalten, Region nachhaltig entwickeln

Sehr geehrter Herr Bopp, sehr geehrte Frau Dr. Schelling, sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen in der Regionalversammlung, liebe Menschen in der Region Stuttgart,

Eine nachhaltige Wirtschaft und Lebensweise gehört zum Selbstverständnis und Markenkern von uns Grünen. Konsequenter Klimaschutz, 100% erneuerbare Energien, mehr Bäume und grüne Infrastruktur, weg „vom Öl“ und vom Verbrennungsmotor, eine gerechte Gesellschaft, dass sind die Ziele, die uns Grüne in der Politik leiten und leiten werden.
Diese Themen treiben uns auch für die Region Stuttgart um. Und so freut es uns, dass wir das Thema „Wirtschaft im Wandel, Region nachhaltig entwickeln“ in einem Antrag gemeinsam und fraktionsübergreifend formulieren konnten und hierzu heute erste - und ich will es gleich vorwegnehmen - gute und richtige Weichen stellen.
Ich will mit einigen Überlegungen auf grundsätzlich nötige Entscheidungen zu sprechen kommen und dann auch den Vorschlag für die Initiative „Nachhaltige Region Stuttgart“ einordnen.

1.    Der Klimawandel und die planetaren Grenzen der Erde geben auch uns in der Region Stuttgart die Leitlinien für das Handeln vor!

Wir haben in der Region Stuttgart von der globalisierten Wirtschaft bisher überwiegend profitiert. Darum müssen wir uns nun auch der Verantwortung stellen und global tragfähige Lösun-gen für Klimaschutz und Nachhaltigkeit anbieten. Das Potenzial dazu haben wir! Die Klagen über zu hohe Klimaziele der EU sind aber fehl am Platze. Die Unternehmen der Region, aber auch wir alle, müssen eher heute als morgen neue Bedingungen akzeptieren:  
 -- Die schnelle Abkehr von der Kohle ist unabweisbar! Auch vom Erdgas werden wir uns bald verabschieden müssen. Wir brauchen mehr erneuerbare Energien, besonders Strom – auch oder vielleicht gerade in der Region Stuttgart.
--Denn auch die Elektromobilität muss auf erneuerbarem Strom basieren. Und Wasserstoff ist nur nachhaltig, wenn er grün ist.
Die Wirtschaft hat diese Message durchaus schon verstanden. Klimaneutralität wird nicht mehr als Hemmschuh gesehen, sondern als Innovationsmerkmal:
--  BOSCH nimmt für sich in Anspruch, bereits 2020 klimaneutral zu sein! Bertelsmann will bis 2030 dieses Ziel erreichen, ebenso der Pharmariese Bayer.
--Nicht nur große, sondern auch kleine und mittelständische Betriebe sind dabei! Z.B. die Lorenz GmbH, die auf dem Ressourceneffizienzkongress BW kürzlich ein beeindruckendes Bekenntnis zu mehr Nachhaltigkeit und Klimaneutralität abgab.
--Auch die Finanzmärkte gehen den Weg: grüne Bundesanleihen erfreuen sich großer Beliebtheit, große Finanzinstitute versprechen – zwar nicht immer überzeugend, aber doch mal als klare Ansage - dass sie nicht-nachhaltige Anlageformen aus ihrem Portfolio verbannen.
Aber diese Bekenntnisse müssen auch mit echten Programmen und Lösungen einhergehen. Der Bezug von Ökostrom – eine probate Lösung um sich klimaneutral zu stellen - gehört eher nicht dazu. Das ist nur eine vorübergehende Lösung. Der Energiemix muss insgesamt mehr Erneuerbare Energien haben. Zusätzliche Erzeugungskapazitäten müssen geschaffen werden.
In der Wirtschaftsförderung der Region müssen wir diesen Wandel zur Nachhaltigkeit mit allen Kräften unterstützen. Die große Politik in Brüssel, Berlin und im Land gibt den Rahmen vor. Aber Gesetzgebung und finanzielle Förderung sind nicht alles! Wir in der Region müssen und können Unternehmen und Menschen unterstützen, sie vernetzen, von der Richtigkeit der Kon-zepte überzeugen und für diese Ziele begeistern! Diese Leistungen sind entscheidend. Auch deshalb wollen wir, dass die Region eine Nachhaltigkeits-Region wird und Klimaschutz zur Chefsache!
Für eine nachhaltige Wirtschaft brauchen wir einen verlässlichen Pfad zur Klimaneutralität. Es nützen keine großen Ziele für 2030 oder 2040, wenn der Pfad dorthin nicht klar abgesteckt wird. Nicht zuletzt deshalb fordern wir Grünen in unserem HH-Antrag eine regelmäßige Fortschreibung unseres Klimaschutzkonzeptes und einen jährlichen Bericht, damit wir den richtigen Pfad schon heute beschreiten und nicht in ein paar Jahren merken, dass wir nicht vorangehen, sondern hinterherhinken.

2.    Wir müssen heute die Weichen stellen, damit sie morgen wirken.

Die Entscheidungen von heute sind die Folgen von Morgen! Wenn wir heute mehr Straßen bauen, werden wir morgen mehr Individualverkehr, mehr Flächenfraß und weniger Biodiversität haben. Wenn wir heute Verbrennungsmotoren einbauen, werden wir auch in 10 Jahren noch mit Feinstaub und Stickoxiden leben müssen. Die Klimakrise ist ja schon da! Es kann aber noch schlimmer kommen! Besonders, wenn wir nichts tun oder zu langsam sind. Die Corona-Pandemie deckt gegenwärtig alles ja nur ein wenig zu. Prof. Schellnhuber vom PIK Potsdam sagt dazu „Richtiges Timing ist alles. Man muss handeln, bevor die Sache eskaliert.“ Den Weg in eine dekarbonisierte Wirtschaft müssen wir heute und nicht irgendwann gehen.

3.    Für Arbeitsplätze und Beschäftigung sollte Diversifizierung zum Kernaspekt unserer Innovationsstrategie werden.

Die Menschen der Region brauchen weiter gute Arbeitsplätze und menschenwürdige Einkommen – auch zur Bewältigung der Klimakrise! Zur Sicherung dieser Bedürfnisse sollten wir weg von der Autobau-Region und hin zu einer Mobilitäts-Region. Hin zu einem ganzheitlichen Ver-ständnis, was Mobilität für die Menschen bedeutet: natürlich die Sicherstellung des individuellen Bewegungsbedürfnisses. Aber eben auch das Bedenken der Folgen von Lärm, Luftverunreinigung und Klimawandel.
Diversifizierung bedeutet z.B. – wie es auch der Strukturbericht 2019 ausdrückt - dass neue Ideen entstehen und diese in Produkte und Dienstleistungen überführt werden. Eine ausge-prägte Start-up Kultur kann also helfen, die Wirtschaft auf breitere Füße zu stellen. Aber auch hierfür müssen die Rahmenbedingungen so sein, dass Nachhaltigkeit und Klimaschutz zu Leitplanken werden.

4.    Wir müssen von der Erkenntnis zur Umsetzung kommen! Dafür müssen die Bedingungen stimmen.

Wie reagieren wir bisher auf die Klimakrise? Die Debatte wird zu oft vom Energie- bzw. Strompreis bestimmt. Aber die Zeichen der Zeit ändern sich! Der CO2-Preis kommt! Er ist für uns Grüne die Stellschraube, damit die Preise stärker die Wahrheit sagen. Die im Brennstoffemissionshandelsgesetz (BEHG) verankerten 25 EUR/t ab 2021 und 65 EUR/t für 2026 verändern zwar noch nicht die Welt, sind aber ein Einstieg. Sie wurden übrigens auch von unserer Lan-desregierung der Bundesregierung abgetrotzt. Mittelfristig wird es europaweit auch CO2-Grenzausgleichssteuern geben und das EU-Emissionshandelssystem wird auf Wärme und Kraftstoffe ausgeweitet. Dies verschärft den Druck für strukturelle Änderungen. Wir haben also allen Anlass, uns mit den Unternehmen zusammen der Dekarbonisierung der Wirtschaft unter veränderten ökonomischen Regeln zu stellen. Auch die Vorlage zur „Nachhaltigen Region Stuttgart“ spricht ja davon, dass „neue Märkte“ entstehen. Diese sollten wir mitgestalten, und uns aber eher heute als morgen darauf einstellen.

5.    Bei der Digitalisierung müssen Chancen und Risiken ausgewogen berücksichtigt werden.

Die Digitalisierung ist ein weiterer fundamentaler Bruch mit dem Bekannten. Es gibt viele Chancen, die auch wir Grünen sehen und wahrnehmen wollen. Sie enthält aber zugleich auch Risiken. Menschen haben Angst, dass ihre Arbeitsplätze wegrationalisiert werden, sie fürchten um ihre (digitale) Selbstbestimmung und Datensicherheit. Auch für die Kriminalität allgemein stellt sie ein nicht unerhebliches Risiko dar. Dieser Ambivalenz müssen wir uns stellen und sie verantwortlich wahrnehmen. Digitalisierung ist kein Selbstläufer oder Selbstzweck. Wir müssen uns hart mit ihr auseinandersetzen.

Was macht das alles mit der Wirtschaft in der Region Stuttgart?

Der Strukturwandel zu einer dekarbonisierten und digital veränderten Wirtschafts- und Lebensweise ist unabwendbar. Wir müssen uns ihm heute stellen! Vor diesem Hintergrund tra-gen wir Grünen die Initiative zu einer „Nachhaltigen Region Stuttgart“ voll und gerne mit. Sie kommt zwar spät, aber noch gerade zur richtigen Zeit, und hat auch die richtige Zielrichtung.
--Wir brauchen hierfür durchaus auch ein neues Narrativ. Das hört sich leichter an, als es ist. Ein Narrativ ist tief und langjährig in einer Region verwurzelt und gewachsen (Siehe das Ruhrgebiet oder Saarland als Kohle- und Stahlregion). Für uns in der Region Stuttgart ist das aber wichtig, weil wir keine großen und starken Instrumente - etwa Fördertöpfe oder Steuererleichterungen – anbieten können. Aber wir können vernetzen, wir können werben, wir können informieren, wir können ein aufgeklärtes Ökosystem schaffen für Klimaschutz und nachhaltiges Wirtschaften! Und diese Instrumente sollten wir nicht geringschätzen, sondern sie kräftig nutzen und ausbauen.
--Es macht auch Sinn, dass wir uns auf unsere bisherigen Stärken besinnen. Sie müssen aber mit neuem Leben gefüllt werden. Wir Grüne können uns die Region Stuttgart als „Nachhaltige Mobilitätsregion“ sehr gut vorstellen. Aber nicht mehr in Blech und mit Verbrennungsmotor, sondern mit Apps, Sharing, alternativen Kraftstoffen, grünem Wasserstoff, erneuerba-ren Energien und rezyklierbaren Materialien und Rohstoffen in einer Kreislaufwirtschaft.
-- Lassen Sie uns auch den Begriff „Cluster“ wieder ernster nehmen - eine Empfehlung, die wir auch aus dem Strukturbericht 2019 schon kennen! Unser Standort kann mit einem her-vorragenden Verbund an Schulen, Ausbildungseinrichtungen, Universitäten, innovativen Un-ternehmen und einer lebenswerten ‚grünen Infrastruktur‘ punkten. Hier braucht es aber weiter große Anstrengungen, eine zeitgemäße und zukunftssichere Infrastruktur bei Bahn und im ÖPNV, und eine motivierende und inspirierende Unternehmenskultur mit anständigen Löhnen und guten Arbeitsbedingungen! Hierfür sollten wir Allianzen und „Cluster für mehr Nachhaltigkeit“ schließen. So erfordert der nicht einfache Durchbruch für eine Wasserstoff-Region eine ‚konzertierte Aktion“ oder eine „Task Force“, in der alle entscheidenden Akteuren und Spieler der Region mit an Bord sind.
Meine Damen und Herren, die Region Stuttgart steht mit ihrer Wirtschaft vor einer Zeitenwende. Wie so häufig, wissen wir schon, was nottut. Wir müssen es aber auch tun! Dafür brauchen wir den Mut, die Entschlossenheit und Innovationen, die die Vorlage dieses Tagesordnungspunktes von uns einfordert. „Zukunft wird aus Mut gemacht“ heißt nicht erst seit 2017 das Motto von uns Grünen. Wir stehen dafür bereit!  
Im Namen unserer Partei gibt es übrigens auch das Wort „Bündnis“. In diesem Sinne strecken wir die Hand aus für eine Zusammenarbeit mit allen, die sich für mehr Nachhaltigkeit und Klimaschutz einsetzen - der Wirtschaft und den Unternehmen, den demokratischen Parteien, den Kommunen, den zivilgesellschaftlichen Organisationen und natürlich den Menschen in der Region.


Machen wir uns an die Arbeit! „Lets do it!“